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Der Scherz: Roman [Taschenbuch]

Als Ironie gefährlich war Im Jahr 1968, als Milan Kunderas erster Roman „Der Scherz“ auf Deutsch erschien — damals im österreichischen Molden-Verlag, er hatte das Buch 1967 in Prag veröffentlicht — war es einmal wieder so weit: Sowjetische Panzer und zumindest ideell ihre zwangsverpflichteten Verbündeten im Warschauer Pakt (darunter auch die Nationale Volksarmee der DDR, die ich gerne noch nachträglich in Gänsefüßchen schreiben würde, wenn es denn der Geschichtsschreibung etwas nützte) hatten den „Prager Frühling“ niedergewalzt; dem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, wie sich der Aufbruch des Dubček-Sozialismus hoffnungsfroh titulierte, ein Ende gesetzt; alle Hoffnungen der Koexistenz, des „Wandels durch Annäherung“ unter Panzerketten und durch die wiederkehrende Willkür zahlreicher illegaler Verhaftungen mit den nötigen Begleiterscheinungen des Terrors und mundtot Machens jeglicher Opposition zunichte gemacht. Die Rezensenten des fulminanten Romanerstlings des Brünners Kundera (Mitglied des oppositionellen tschechoslowakischen Schriftstellerverbands), der essayistische Klarheit – durchaus auf den Spuren Montaignes — mit erzählerischem Schwung und einer geschickten Perspektiven-Konstruktion verbunden hatte – diese Rezensenten von ’68 hatten durchaus das erneute Tottreten jeder Hoffnung zum Motiv. Dabei hatte der Roman „Der Scherz“ von solcher Hoffnung gar nicht gezehrt, erst recht nicht auf sie gesetzt. Nach 1968, als der Prager Frühling wieder einer neuen kommunistischen Eiszeit hatte weichen müssen, hatte der große mährische Erzähler den privat-öffentlichen Schlüsselroman dieser Epoche geschrieben: „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, der nun nicht einmal mehr zuerst in der Muttersprache Kunderas erscheinen konnte. Fortan musste sich der große Erzähler, der sich stark aus den sprachlichen, ja folkloristischen Wurzeln seiner Herkunft speist, auf die er sich gerne, wäre sie nicht von den Kommunisten mit Füßen getreten worden, berufen hätte, im Französischen eine neue Sprachheimat suchen – was seiner Prosa ihre melancholisch-skeptische Eleganz gibt: Er schreibt fortan als abgeklärter Rebell, wobei die Betonung auf der Rebellion, dem Aufbegehren des individuellen Gefühls liegt. Damals, im „Scherz“, hatte er nicht etwa optimistisch auf den Aufbruch zu neuen sozialistischen Ufern gesetzt. Nein, dazu war der 1929 geborene Menschenkenner, der sich auch glänzend auf die Satire versteht, zu gescheit, zu lebensgeprüft. Er hatte vielmehr seine Geschichte, die 1948 begann, beim kalten, durch die Sowjetunion bewerkstelligten Staatsstreich, der sich als Jugendrevolution gab und eine stalinistische Kader-Veranstaltung war, in den sechziger Jahren in einem Sumpf sozialistischer Banalitäten enden lassen: Fett gewordene, glatzköpfige, sich in ihrer Karrieristen-Eitelkeit erschöpfende Teilhaber der angeblichen proletarischen Revolution vor der Schwelle des paradiesischen Sozialismus erlebten eine erschlaffte Epoche, die vor sich hin wurstelte — ohne echte Antworten, mit einem grässlich grauen Alltag, der immer noch aus missmutigen Kellnern, frustrierten Frauen, angeekelten, aber opportunistischen Jugendlichen und den alten Intrigen der alt gewordenen Funktionäre untereinander bestand. Brünn (übrigens auch meine Geburtsstadt, weshalb ein spießiger Funktionär vorkommt, der meinen Namen, Karasek, trägt; auch der tschechischen Linie meiner Verwandten blieb wenig erspart) offenbart alle Schrecken, oder soll man besser sagen: spießig-kulturfeindlichen Schrecknisse, wie sie den real existierenden Sozialismus in jener Zeit kennzeichnen; nichts von Zukunft, alles von Verkommenheit, die sich im Elend einrich¬tete und nicht einmal mehr, so möchte man mit einem gewissen Zynismus sagen, zu der terroristischen Willkür der stalinistisch-idealistischen Schreckensjahre fähig ist. Mit denen beginnt der Roman. Mit einer jungen Generation, die es nach der Errichtung der Volksherrschaft an die Universitäten und die Spitze ihrer Fachschaften spült, wo sie mit dialektischer und zynischer Rücksichtslosigkeit unter Zuhilfenahme der Gehirnwäsche und der Auslöschung des Privaten ihre Minderheitendiktatur im Namen der besseren Menschheit einzurichten beginnt. Ludvik, der Held, Sohn eines von den Faschisten ermordeten Arbeiters, ist prädestiniert, an der Spitze dieser Entwicklung mitzumarschieren. Aber er ist ein Individualist, der seinen privaten Lust- und Liebesgewinn nicht der Arbeiterklasse unterordnen will. Er ist also ein ironischer Mensch, und das ist in totalitär-gläubigen Zeiten gefährlich, lebensgefährlich. Als eine schöne, von ihm umschwärmte und umworbene Kommilitonin, statt mit ihm die Semesterferien zu verbringen, lieber in einen Schulungslehrgang geht, reitet den verliebten Individualisten der Teufel: Auf offener Postkarte schreibt der in seiner Libido Gekränkte der parteigläubigen Angebeteten: „Optimismus ist Opium für die Menschheit. Ein gesunder Geist stinkt nach Dummheit! Es lebe Trotzki! Ludvik.“ Diese Karte, diese Parole in der Hoch-Zeit des Kalten Krieges, das konnte nur zur Katastrophe führen. Und so wird Ludvik Jahn, eine Hoffnung auf eine wissenschaftliche und politische Karriere, total aus der Bahn geworfen; er wird zum Geächteten. Seine Freundin wie seine besten Freunde verraten ihn, stimmen gegen ihn ab, und nehmen dabei natürlich billigend in Kauf, dass der Tritt gegen Ludvik ihren Aufstieg befördert. Er fällt tief. Von der Universität relegiert, von der Partei ausgeschlossen, landet er bei einem Strafbataillon von Soldaten, den „Schwarzen“, die man so misstrauisch beäugt, dass sie keine Waffen tragen dürfen. Sie malochen als Arbeitssklaven in Kohlebergwerken, sie werden geschliffen, schikaniert, misshandelt, sie wissen nicht, wie viele Jahre sie derart entrechtet in einer Art Gulag bei Ostrava zwangsarbeiten müssen. Und doch wird das Ludviks wesentlichste Zeit. Weil er sich nämlich in ein Mädchen aus einer Anstalt für Schwererziehbare verliebt und mit ihr, die ihm ihre Zuneigung durch Blumengeschenke, die sie auf dem Friedhof stiehlt, beweist, eine Liebe erleben könnte, würde er nicht wie besessen und wie ein Vergewaltiger auf sie eindrängen. Also verspielt er auch diese Chance; genauso, wie er sieht, dass die Solidarität unter den Entrechteten auch nur auf purem Egoismus beruht. Der Roman erzählt das aus den Blickwinkeln und Erzählperspektiven der Betroffenen. Am Ende, als Ludvik nach langjähriger Fron im Bergwerk doch noch sein Studium beendet hat, will er sich rächen. Auf seine Weise. Und die Rache gilt, nach fünfzehn Jahren, der Ehefrau des damals als strahlend blonder Saint-Just gegen ihn auftretenden Zemanek. Sie ist Radioreporterin und er macht sie verliebt in sich — so will er an seinem ehemaligen Freund-Feind, der ihm das Leben verpfuscht hat (War er es nicht selber mit seinem Scherz auf der Postkarte?), Rache üben. Es kommt zu einem Tête-à-Tête in der Wohnung eines Freundes, es ergibt sich eine sadomasochistische Beziehung, die sich mit Wodka und Hilfe von Schlägen vollzieht. Schon denkt er, seinen Feind mit dem Raub des Intimsten (seiner Frau) gedemütigt zu haben: Da erfährt er, dass die beiden längst getrennt leben. Ekel, Scheu, Enttäuschung überkommen ihn, er jagt die Missbrauchte fort, ohne Rücksicht. Sie nimmt pathetisch Abschied von ihm, schreibt ihm einen Brief, nimmt (so glaubt sie) eine Überdosis Schmerztabletten, ohne zu wissen, dass es sich um Abführmittel handelt. Die geplante Tragödie endet als lächerliche Farce auf dem Holzklo in einem Dorf. (Später sollte Kundera in der „Unerträglichen Leichtigkeit“ seine genialen essayistischen Passagen über die „Scheiße“ schreiben – deren widerliches Vorhandensein jedes politische Pathos außer Kraft setzt.) Es gibt am Ende des Romans keine Sieger, nur Besiegte, die trotz ihrer gestohlenen Biografien — alles was ihnen der totalitäre Staat geraubt hat — eher kläglich als tragisch dastehen. Sieger der Geschichte, als die sie alle als junge Studenten im Jahr 1948 aufbrechen wollten, sehen anders aus. Kunderas wundervolle erzählerische Gerechtigkeit behandelt alle mit der gleichen individuellen Parteinahme und setzt sie alle der gleichen komischen Lächerlichkeit aus – sie ist schier unerträglich, wie die Leichtigkeit des Seins; aber sie ist von einer großen Gerechtigkeit. Eine Epoche wird zu Grabe getragen. Auch Randfiguren stehen nicht am Rand, sondern im Zentrum einer Geschichte, deren Mittelpunkt und Wahrheit die kommunistische Provinz ist. Da gibt es Folklore-Musiker, die nach den Wurzeln der Volksmusik Mährens suchen — und im Kitsch des sozialistischen Realismus landen. Jung hatten sie versucht, ihre Volksmusik mit dem Jazz (auch einer Volksmusik) zu versöhnen. Es gibt die religiös fundierten Befürworter des Kommunismus, die das System missbraucht, ausspeit und ruiniert. Es gibt die Bürokraten, die versuchen, die christliche Taufe durch eine Art Baby-Jugendweihe zu ersetzen. Freiwillig, versteht sich. Und wer sich nicht danach richtet? Denen gibt ein Gemütsmensch, der sich als Standesbeamter in der neuen Ordnung und ihrem schrecklich alten Schlendrian eingerichtet hat, eine umwerfend wahre Antwort: Auf die Frage, ob die Teilnahme an der „Begrüßung neuer Bürger im Leben“ — das kommunistische Substitut der christlichen Taufe – „obligatorisch“ sei, antwortet er mit einem Lächeln: Das sei sie nicht, doch der Nationalausschuss beurteile das Bewusstsein der Bürger sowie deren Einstellung zum Staat aufgrund der Teilnahme an der Zeremonie, schließlich begreife das jeder Bürger, und er käme. So arbeiten Diktaturen mit ihren opportunistisch abgerichteten Untertanen. Nachwort von Hellmuth Karasek zu Der Scherz. SPIEGEL-Edition Band 26
— Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.

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