Ein wesentlicher Aspekt des Sehens ist die gelegentlich unscharfe Grenze zu den anderen Sinnen: die Synästhesie. Speziell zum Hörsinn bestehen visuell-akustische Übergänge und Wechselwirkungen, die Qualitäten und Bedeutungen gleichzeitig oder im Wechsel evozieren: Manche Menschen sehen eine Farbe, wenn sie ein bestimmtes Wort hören, andere wiederum hören einen bestimmten Klang, wenn sie die z.B. die Farbe Blau sehen. Die Synästhesie ist ein solcher Transfer von sensorischen Qualitäten und Bedeutungen zwischen verschiedenen sensorischen Modalitäten und findet sich in der bildenden Kunst, Musik und Dichtung. Neurowissenschaftliche Bildgebungsverfahren haben es in den vergangenen zehn Jahren ermöglicht herausfinden, in welchen Regionen der Hirnrinde diese seltene Vermischung der Sinne geschieht. Dieses ist unser Ausgangspunkt, von welchem wir Werke von Künstlern mit diesen Fähigkeiten betrachten. In weiten Bereichen der Dichtung sind Klang-Symbolismen und synästhetische Vergleiche anzutreffen. Teilweise spiegelt dies allgemein akzeptierte Ähnlichkeiten und Analogien von sensorischen Erfahrungsinhalten. Einige davon mögen erlernt sein; andere jedoch spiegeln intrinsische Verwandtschaften wieder, die zur Natur unserer sensorischen Perzeption gehören. Bestimmte Eigenschaften sind verschiedenen Sinnesmodalitäten gemeinsam, wie Intensität und Helligkeit, oder akustisch ausgelöste Bedeutungs-Assoziationen: Metaphern können dadurch relativ frei übertragen werden zwischen visuellen, auditiven und taktilen Sinneswahrnehmungen. In sechs Schritten zeigt das vorliegende Essay, dass das Zusammenspiel von synästhetischen Qualitäten mit versteckten und mehrfachen Bedeutungen in der bildenden Kunst immer eine große Rolle gespielt hat für die innere Qualität eines Bildes.