Copyright: Aus Das Buch der 1000 Bücher (Harenberg Verlag) LenzOA 1839 Form Erzählung Epoche VormärzDie Erzählung schildert einen Lebensabschnitt des psychisch erkrankten Sturm-und-Drang-Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz (1751 bis 1792). Mit einer innovativen Erzähltechnik ermöglicht Georg Büchner dem Leser ein Miterleben des Wahns, der entgegen damaliger Einschätzungen nicht als selbstverschuldet erscheint, sondern als nachvollziehbare Reaktion auf die umgebende Welt. Aus der Sicht des psychisch Kranken konnte Büchner auch den Zweifel an Gott formulieren, ohne sich angreifbar zu machen. Wichtiger Bestandteil der Erzählung sind die von Lenz formulierten kunsttheoretischen Betrachtungen, die in ihrer antiidealistischen Ausrichtung auch das poetologische Konzept von Büchner kennzeichnen.Entstehung: Hauptquelle der Erzählung ist der Bericht des Pfarrers Oberlin über Lenz, der sich 1778 mit deutlichen Anzeichen einer Psychose bei ihm aufgehalten hatte. Den beobachtenden Blick Oberlins verwandelt Büchner zu Gunsten der Einblicknahme in die Wahrnehmungswelt des Kranken. Des Weiteren bezieht Büchner sich auf R Goethes Bemerkungen über Lenz in Dichtung und Wahrheit (181133), wobei er Goethes distanzierter Darstellung ein mitfühlendes Psychogramm entgegenstellt. Die 1835 entstandene Erzählung wurde 1839 aus dem Nachlass veröffentlicht.Inhalt: Die Schilderung von Lenzens Weg ins Steintal ist geprägt von seiner stark subjektiven Naturwahrnehmung. Lenz erscheint die Natur fremd und bedrohlich, sein Empfinden ist gekennzeichnet von dem Gefühl der Entfremdung und Isolation. Der Dichter fühlt sich vom Wahnsinn verfolgt und erreicht mit Erleichterung das Haus Oberlins, in dessen wohltuender Atmosphäre er sich zunächst beruhigt. Schon bald kommt es aber erneut zu einem psychotischen Schub. Oberlin nimmt den Dichter in den folgenden Tagen mit auf seine seelsorgerischen Besuche bei der Landbevölkerung. Lenz fühlt sich zu den einfachen Leuten hingezogen und in Momenten der pantheistischen Naturwahrnehmung sieht er sich im Einklang mit der Welt und mit Gott. Als der Dichter Christian Kaufmann einen Besuch im Steintal macht, hält Lenz ein Plädoyer für eine Kunst, die geprägt ist von unverklärter Wirklichkeitsdarstellung und sympathetischer Auseinandersetzung mit dem einfachen Menschen und seinem Leid. Wenig später verreist Oberlin; der Zustand von Lenz verschlechtert sich wieder und er wird von religiösen Zweifeln geplagt. Als er vergeblich versucht, ein totes Kind zum Leben zu erwecken, fällt er in tiefe Verzweiflung. Hier offenbart sich die maßgebliche Ursache seiner Krankheit: Büchner zeigt einen Menschen, der krank geworden ist am Leiden der Welt und an der eigenen Unfähigkeit, dieses Leiden zu mildern. Das Nicht-Eingreifen Gottes führt Lenz zum Atheismus. Der Zustand des Dichters verschlechtert sich rapide und nach einem Selbstmordversuch lässt Oberlin ihn nach Straßburg bringen. Lenz reagiert resigniert und apathisch. Struktur: Große Passagen der Erzählung sind von einer personalen Erzählhaltung, einer Schilderung aus der Sicht des Protagonisten, geprägt. Büchner ermöglicht mit dieser Erzählform, die sich erst um 1900 etablierte, eine besondere Nähe zur Hauptfigur. Den gestörten Geisteszustand Lenzens bildet der Autor auf sprachlicher Ebene mit zahlreichen Wortauslassungen und Satzabbrüchen mimetisch ab. Wirkung: Die Würdigung Büchners setzte erst mit den Naturalisten ein und auch Lenz fand erst um 1900 Resonanz. Mittlerweile gilt der Text als Beginn der modernen deutschen Prosa. Nachdem er lange als Fragment betrachtet wurde, wird seine Bruchstückhaftigkeit heute auch als Erzählstrategie verstanden. A. K.
— Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.