Das vorliegende Kapitel hat drei Fragestellungen untersucht: – Warum überhaupt, d.h. aus welchen ökonomisch plausiblen Motiven werden heutzutage Inter-Banken-Kredite vergeben? – Welche Aussagen lassen sich treffen über einen allfälligen Zusammenhang zwischen Inter- Banken-Krediten und systemischem Risiko? Respektive präziser: Welche Mechanismen lassen sich isolieren, die eine risikoverstärkende oder – gerade umgekehrt – eine risikoreduzierende Wirkung von Krediten zwischen Banken erwarten lassen? Insbesondere war hier der Frage nachzugehen, wie das Zauberwort „Systemrisiko“ operationalisiert werden kann. – Welche Schlussfolgerungen lassen sich hieraus für eine eventuelle, auf die Risikowirkungen von Inter-Banken-Krediten ausgerichtete Bankenregulierung ziehen? Sowohl aus theoretischer als auch aus praxisorientierter Sicht ist deutlich geworden, dass es sich beim Phänomen des systemischen Risikos nicht lediglich um ein durch theoretische Argumente motiviertes Problem handelt, sondern dass Systemrisiko tatsächlich zu einer für die Realität der Bankenwelt bedrohlichen Erscheinung werden könnte und mindestens partiell von Bankenseite auch als gefährlich eingeschätzt wird. Es darf davon ausgegangen werden, dass trotz erheblicher Systematisierung und Zentralisierung des Risk Managements in den letzten Jahren viele Banken die Problematik korrelierter Gegenparteirisiken tendenziell unterschätzen. Gegenparteirisiken dürften in hohem Masse mit den zugrunde liegenden Risiken korreliert sein. Zusätzlich sind Gegenparteirisiken über die Zeit variabel und endogen, da sie von der Entwicklung des ganzen Netzwerkes von Verträgen der Gegenpartei, den Gegenparteien der Gegenpartei usw. abhängen. Wenn Banken das Problem korrelierter Gegenpartei-Kreditrisiken (zum Beispiel in Derivativmärkten) als Systemproblem interpretieren, um welches sich die Zentralbank(en) zu kümmern hat (haben), so hätten diese Banken auch einen geringeren Anreiz, sich um diese Risiken sowie ihre Korrelationen zu sorgen. Insofern wird ein weiteres Moral Hazard- Problem impliziert. Im Fallbeispiel von Barings Brothers konnte ein einzelner Händler, vom Head Office praktisch unkontrolliert, innerhalb weniger Tage eine riesige, ungedeckte Position aufbauen. Hier wird der Einfluss von Bonus-Systemen zur Steuerung des Verhaltens einzelner Händler drastisch exemplifiziert. Es scheint zuwenig berücksichtigt worden zu sein, dass hohe Erträge eines Händlers oder Teams nicht mit hoher Fachkompetenz und/oder hohem Arbeitseinsatz korreliert sein müssen, sondern ebenfalls Ausdruck hoher, z.T. exzessiver Risiken sein mögen. „The problem is exacerbated when professionalization induces the illusion that one has all risk under control whereas in fact one sees only those risks that one knows from the Black-Scholes formula“. Dieses Kapitel gab einen Überblick über den theoretischen und empirischen Stand der Literatur zur Thematik. Ausgehend von Überlegungen zu möglichen ökonomischen Funktionen von Inter-Banken-Beziehungen wurde anhand ausgewählter Beispiele aus der Literatur versucht darzulegen, welche Mechanismen und Effekte Inter-Banken-Geschäfte möglicherweise systemrelevant werden lassen. Zusammenfassend bleibt hierzu festzuhalten, dass sich sowohl für risikoverstärkende als auch für risikoreduzierende Effekte von Inter- Banken-Krediten theoretische Argumente finden lassen, welche in geeigneter Weise gegeneinander abzuwägen sind. Zur Klassifikation möglicher Systemeffekte wurde differenziert zwischen verschiedenen von Inter-Bank-Kreditbeziehungen ausgehenden Wirkungen auf das Finanzsystem. Insbesondere wurde unterschieden zwischen den Auswirkungen von Makroschocks auf der einen Seite sowie eigentlichen Systemzusammenhängen auf der anderen Seite. Als mögliche Systemzusammenhänge wurde dabei auf Informations- und auf Dominoeffekte hingewiesen. Die heutige Bankenregulierung ist stark einzelinstitutsorientiert und zieht Systemeffekte relativ wenig in Betracht. Die Diskussion möglicher Konsequenzen der Analyse von Funktion und Risikowirkungen von Inter-Bank-Geschäften ging aus von Erwägungen betreffend den allfälligen Bedarf einer auf die Eindämmung von Systemrisiko ausgerichteten Regulierung. Hier wurden verschiedene Versionen von Excessive Risk Taking und deren Implikationen für die Bankenregulierung untersucht. Bei der Darstellung grundsätzlich denkbarer Regulierungsansätze wurde differenziert zwischen Massnahmen der Schadensbegrenzung einerseits (Suspension of Convertibility, Lender-of-Last-Resort-Funktion der Zentralbank) sowie Massnahmen der Verhaltenssteuerung anderseits (Eigenkapital-Vorschriften, Depositenversicherung). Die Erforschung möglicher Mechanismen zur Ausbreitung von Schocks im Bankensystem ist unter anderem für die Evaluation und gegebenenfalls Ergänzung des regulatorischen Umfelds wichtig. Grundsätzlich zeichnet sich ab, dass heute die eigentlichen Gefahrenpotentiale im Bankensystem weniger durch die Möglichkeit von konventionellen Bank Runs als durch die direkte Vernetzung zwischen Banken generiert werden. Während zur Bekämpfung von Bank Runs gewisse, wenn auch mit Mängeln behaftete Lösungsmechanismen bestehen, ist zurzeit noch weitgehend offen, welches der Impact der Systemproblematik auf die Bankenregulierung sein soll. Insbesondere sind die Anreizwirkungen verschiedener Regulierungsmaßnahmen weder theoretisch noch empirisch eindeutig. Als erste Maßnahme dürfte die Schaffung erhöhter Transparenz über potentiell systemwirksame Geschäfte in die richtige Richtung weisen. Ebenfalls zeichnet sich heute bereits ab, dass es vorteilhaft sein dürfte, wenn in Zukunft diese Berichterstattung sowie die Bankenaufsicht allgemein international ausgerichtet wären. Etliche weitere Fragen in Zusammenhang mit Aspekten systemischen Risikos sind noch weitgehend ungeklärt. So ist beispielsweise fraglich, welche Rolle die Einbettung von Kreditproblemen in ganze Zahlungssysteme mit den hiermit verbundenen zusätzlichen Abwicklungsrisiken spielt. Bis heute darf als weitgehend ungeklärt gelten, welche diesbezüglichen Gefahrenpotentiale in Zahlungsverkehrssystemen wie CHIPS oder FEDWIRE stecken. Diese Frage wurde bewusst aus dem vorliegenden Kapitel ausgeklammert. Zwischen dem Umfang des bisherigen theoretischen Wissens über systemische Zusammenhänge und der potentiellen Relevanz von Systemrisiken für die Praxis besteht eine bemerkenswerte Kluft, vgl. hierzu AGHION, BOLTON und DEWATRIPONT (1999): „Surprisingly, the issue of systemic risk in banking, and more specifically the risk of contagion in bank failures has received only limited attention in academic research“. Aus empirischer Sicht fehlen ein operationalisierter Systemrisiko-Begriff und aussagekräftige Daten; aus theoretischer Sicht fehlen Untersuchungen, welche die in verschiedene Richtungen wirkenden Effekte aggregieren. Die Herausforderung für die zukünftige Forschung wird primär darin bestehen, anhand modelltheoretischer Überlegungen konkretere Vorstellungen über die Risikoimplikationen von Inter-Banken-Krediten zu gewinnen. Hiefür wird es notwendig sein, zunächst einen für die Analyse der Funktionen von Krediten zwischen Banken adäquaten Modellrahmen zu schaffen. In weiteren Schritten gilt es, die Konzepte von Gegenparteirisiken bzw. von der Korrelation solcher Gegenparteirisiken mit den zugrunde liegenden Risiken (z.B. Zinsänderungsrisiko) zu präzisieren. Unter anderem bedarf auch das Zusammenspiel von idiosynkratischen (d.h. bankspezifischen) und aggregierten Risiken einer modelltheoretischen Analyse. Dies sollte es erlauben, zum einen Einsichten in das zugrunde liegende Allokationsproblem zu gewinnen sowie zum andern aus vertragstheoretischer Perspektive die optimale Ausgestaltung von Inter-Banken-Krediten zu charakterisieren. Zurzeit muss davon ausgegangen werden, dass weder Regulatoren noch die Bankenwelt selbst über zuverlässige Informationen darüber verfügen, wie stabil das heutige Finanzsystem wirklich ist. Um zu vermeiden, dass wir uns diesbezüglich in falscher Sicherheit wiegen, ist die Beschaffung weiterer Informationen sowie die vertiefte Auseinandersetzung mit endogenen Systemrisiken von großer Bedeutung.