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Unscharfe Bilder: Roman [Gebundene Ausgabe]

1939 begann der Zweite Weltkrieg und endete laut Geschichtsbuch sechs Jahre später. Bei der Lektüre von Ulla Hahns neuem Roman (und verschiedenen anderen Publikationen) kommen einem Zweifel an dieser simplen Gleichung. Für Hans Musbach ist sie lange aufgegangen. Dank eines harmonischen Familienlebens, Erfüllung im Lehrerberuf und moralischer Rückendeckung durch seine geliebten Klassiker glaubte er „diese Jahre abgekapselt wie die Splitter in meinem Bein“. Doch dann rückt ausgerechnet Tochter Katja, selbst Lehrerin, dem Achtzigjährigen mit Fotos aus der Wehrmachtsausstellung zu Leibe und lässt seine „Dämme gegen das Erinnern“ brechen. Zuerst zögerlich, dann immer bereitwilliger, ja fast besessen erzählt Musbach vom Krieg, von seinem Krieg, manchmal „wie von einer romantischen Landpartie“, wie Katja ihm vorwirft. Sie wittert überall Verklärung und Verdrängung, gleichzeitig verkraftet sie kaum die drastischen Erinnerungsbilder, die aus dem Munde des Vaters kommen „wie Eiter aus einer schmutzigen Wunde“. Sie wird die Geister, die sie rief, nicht mehr los, schwankt zwischen anklagendem Pathos („Blumen blühen auch unter einem Galgen.“) und blankem Unverständnis. „Er sollte erzählen, was sie hören wollte“, doch was will sie eigentlich? Dem Leser jedenfalls gehen Musbachs Berichte über große und kleine Grausamkeiten und die „Angst vor körperlicher Zertrümmerung“ näher als jedes noch so aufwändige Hollywood-Epos über Vietnam oder den D-Day. Genau wie Katja (und Uwe Timm Am Beispiel meines Bruders) haben wir Mühe, „das ganze Bild zu sehen“, das Leid der Soldaten nicht gegen die Verbrechen der Wehrmacht aufzurechnen, beides gleichermaßen gelten zu lassen, ohne dass alles gleich gültig wird. Dass der faktengesättigte Roman darüber nicht zum Lehrstück verkommt, verdankt er den glaubwürdigen Hauptfiguren, einer gnadenlos poetischen Sprache und Hahns Weigerung, sich auf eine Sichtweise festzulegen. Dieses Bemühen führt im letzten Teil allerdings zu einigen seltsamen Handlungssprüngen. Hans Musbach — „immer dagegen und doch immer dabei“ — wäre uns auch so in guter, nein: in zwiespältiger Erinnerung geblieben. Wie Christoph Amend versucht Hahn die Großväter zum Sprechen zu bringen, stellvertretend für die junge Generation und modellhaft für die Achtundsechziger. Zur Nachahmung empfohlen? Vielleicht. Erst einmal zum Nachlesen. –Patrick Fischer

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